Reformimpulse aus Schweden:
Das schweizerische System der Altersvorsorge braucht dringend Reformen, damit der demografische Wandel bewältigt werden kann. Von Schweden kann die Schweiz viel lernen: Bereits in den 1990er-Jahren wurden die dortigen Vorsorgeeinrichtungen einem radikalen Umbau unterzogen. Der Erfolg lässt sich sehen: Die Finanzierung ist nachhaltig, die finanzielle Stabilität blieb auch während der Finanz- und Wirtschaftskrise intakt, Umverteilungen erfolgen auf transparente Weise, und schwedische Bürger haben im neuen System mehr Wahlmöglichkeiten.
Alle reden vom demografischen Wandel, aber viele schrecken vor den Konsequenzen zurück. Das gilt leider auch für die Schweiz. Dabei sollten nur schon die Aussichten der AHV aufrütteln, wo die Finanzierungslücke von 1,2 Mrd. Fr. im Jahr 2020 auf 8,6 Mrd. Fr. im Jahr 2030 anwachsen dürfte. Die Schweiz steckt bei der Altersvorsorge seit bald zwei Jahrzehnten im Reformstau und kann keine politischen Mehrheiten für durchgreifende Reformen finden. Schweden hat es besser. Das skandinavische Land leitete bereits in den 1990er-Jahren eine radikale Reform ein und ist heute fit für den demografischen Wandel. Alois Bischofberger nahm dies zum Anlass für einen Blick über die Grenze. In seinem Diskussionspapier zieht er – unter anderem – folgende Lehren für die Schweiz: 1. Das Regelrentenalter durch ein Mindestrentenalter ersetzen. Schweden hat das Regelrentenalter abgeschafft und kennt einzig noch ein Mindestpensionierungsalter von 61 Jahren. Die Beschäftigten reagieren auf diese Flexibilität: sowohl frühere als auch spätere Austritte aus dem Erwerbsleben nehmen zu. Da die individuelle Rentenhöhe auf der Basis der durchschnittlichen Lebenserwartung zum Zeitpunkt des beginnenden Ruhestands berechnet wird und diese Lebenserwartung weiterhin steigt, besteht ein Anreiz, länger zu arbeiten. Das durchschnittliche effektive Rentenalter liegt in Schweden derzeit bei 63,8 Jahren. Es ist damit eines der höchsten in der EU. Mit der Abschaffung des Regelrentenalters würde auch in der Schweiz die Diskussion um das «richtige» Rentenalter entpolitisiert, und sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber hätten einen grösseren Handlungsspielraum. 2. Mit Automatismen die finanzielle Stabilität sichern. Zentrales Reformziel in Schweden war die nachhaltige Finanzierung der Vorsorgeeinrichtungen. Darum wurden diese dem Zugriff der Politik weitgehend entzogen. Ungleichgewichte zwischen Guthaben und Verbindlichkeiten im Rentensystem werden durch den «Automatischen Bilanzierungsmechanismus (ABM)» korrigiert. Er stellt sicher, dass die Leistungen immer den vorhandenen Mitteln entsprechen. Anders sieht es in der Schweiz aus: Die versicherungstechnischen Kennzahlen, die in der ersten und zweiten Säule der schweizerischen Altersvorsorge die Rentenhöhen bestimmen, beruhen auf veralteten Grundlagen. Das wird künftige finanzielle Ungleichgewicht in der AHV verstärken und führt zu mehr systemwidriger Umverteilung in der beruflichen Vorsorge. Mit automatischen Stabilisatoren könnte in der Schweiz das Vertrauen in die Nachhaltigkeit der Alterssicherung gestärkt werden. 3. Mit Teilrenten die Altersarbeit fördern. Um eine Erosion der Altersrenten zu vermeiden, wurden in Schweden Anreize für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit geschaffen. Ab dem 61. Lebensjahr besteht die Möglichkeit, Teilrenten zu beziehen und weiterzuarbeiten. Dieses Modell empfiehlt sich auch für die Schweiz. Zusätzlich sollte in der zweiten Säule auf die altersabhängige Staffelung der Beitragssätze verzichtet werden; sie ist eine Hürde für die Berufstätigkeit in vorgerücktem Alter. Die Arbeitgeber sollten der Altersarbeit durch flexible Arbeitszeitmodelle und die Anpassung der Stellenprofile älterer Mitarbeiter Impulse verleihen. Und die Beschäftigten müssten bereit sein, allenfalls neue Funktionen und reduzierte Einkommen zu akzeptieren. Auch der schwedische Weg ist trotz aller Erfolge nicht ohne Schattenseiten. So hat sich die Altersarbeit eher wenig durchgesetzt, und betriebliche und staatliche Vorsorge sind noch zu wenig aufeinander abgestimmt. Die Schweiz muss denn auch ihre Altersvorsorge nicht von Grund auf umkrempeln, aber sie kann – nicht zuletzt aufgrund der Parallelen zwischen den beiden Ländern hinsichtlich des Drei-Säulen-Systems und der demografischen Entwicklung - gezielt aus den Stärken und den Schwächen des schwedischen Systems lernen. Zur Studie
23.06.2014 | Autor
Jörg Naumann
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