Weltneues Paletten-Transportsystem
Innovationen sind das Aushängeschild jeder Fachmesse. Anlässlich der der LogiMAT 2014 in Stuttgart gab es dazu genügend Projekte, wovon eine besonders hervorstach: Das Doppelkufensystem von Eisenmann. Der baden-württembergische Hersteller hat in Zusammenarbeit mit dem Institut für Fördertechnik und Logistik eine ebenso einfache wie verblüffende Neuheit für den Palettentransport vorgestellt.
In der gesamten Wirtschaft sind Norm-Paletten das Warenumschlags-und Transporthilfsmittel Nr. 1. Viele Lager sind eigens dafür eingerichtet, ebenso Transportfahrzeuge (LKW, Bahnwagen) und Transportsysteme (Container, Förderstrecken). Das Zu- und Abführ-Handling erfolgt in der Regel über Gabelsysteme wie Gabelstapler, Hubwagen und ähnlichen Geräten. Sie unterfahren die Palette bzw. die Palettenladung, heben sie vom Boden oder ihrer Auflage an und befördern sie dann manuell oder automatisch zum jeweils gewünschten nächsten Abstellort. Dort, wo die Automation infolge unterschiedlichem Ladungsaufkommen oder ständig wechselndem Handling unrentabel ist, wird manuell mittels Stapler oder Handhubwagen verfahren --- das ist heute eigentlich die Mehrheit aller Palettenumsetzungen. Bewährte Mittel stehen seit Jahrzehnten im Einsatz. Diese Situation war jedoch für das Institut für Fördertechnik und Logistik (IFT) der Stuttgarter Universität unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Karl-Heinz Wehking, der es seit 1995 leitet, kein Grund, nicht auch hier nach möglichen Verbesserungen zu suchen. Mit Erfolg! Hubgabeln ja – aber ohne feste Verbindung Ganz ohne Stapler oder Hubwagen – wie von Geisterhand geführt – palettierte Ladungen über den Boden schweben zu lassen, war zunächst nur eine Vision, die jedoch schon bald Realität wurde. An seinem Institut ist dies als die Geburtsstunde einer revolutionären Innovation für intralogistische Prozesse anzusehen: Bühne frei für das Doppelkufensystem.
Von der zentralen Kernkomponente für den Palettentransport, den Gabeln, wurden alle zugehörenden Komponenten "abgeschnitten" bzw. eliminiert. So wurde auch komplett auf die mechanische Verbindung zwischen den beiden Gabeln verzichtet. Den parallelen Zusammenhalt und somit die Kennzeichnung als Gabel verwirklichte man nur mittels einer virtuellen Kopplung durch entsprechende Sensorik, Antriebs- und Steuerungstechnik. Wenn man so will, entstand mit jedem Gabelzinken ein kleines, eigenständiges fahrerloses Transportmittel, das sich aber durch die Parallelführung von zwei Elementen zu einem vollwertigen Transportsystem (FTS) entpuppte. Ein neues, revolutionäres Handling-Verfahren, wie sich allerdings erst später herausstellte, war gefunden. Das Aussehen der beiden Teilgabeln unter der Palette entsprach im weitesten Sinn zwei (Schlitten-)Kufen, womit offensichtlich die Namensgebung gefunden wurde, obschon diese Kufen über Rollen angetrieben werden. Diese mit Sicherheit noch lange nicht abgeschlossene Entwicklung präsentierte das IFT bereits zur LogiMAT 2013 in Stuttgart, allerdings in einem sehr rudimentären Praxisumfeld. Immerhin erkannten Verantwortliche der Eisenmann Anlagenbau GmbH, aus Böblingen(D), das grosse Potenzial dieser Entwicklung und schlossen mit dem IFT einen entsprechenden Lizenz- und Weiterentwicklungsvertrag. Dadurch konnte umgehend eine gezielte Nullserie in Angriff genommen werden, die man zur LogiMAT 2014 dem Markt präsentierte. Ausgestattet mit einer neuartigen, mobilen ʹKufensteuerungʹ und einem leistungsstarken Lithium-Ionen-Batteriekonzept geht das fahrerlose und vor allem preiswerte Flurfördermittel von Eisenmann ab Mitte 2014 in Serie.
Best Product 2014 Die hoch interessanten Faktoren des Systems bewogen sogar der Best-Product-Jury der LogiMAT 2014, dieses System den ersten Preis in der Kategorie „Beschaffen, Fördern, Lagern“ zuzusprechen. Mit dem Preis der LogiMAT werden jedes Jahr innovative Produkte geehrt, die wesentlich zur Rationalisierung, Kostenersparnis und Produktivitätssteigerung in der innerbetrieblichen Logistik beitragen. „Das Doppelkufensystem von Eisenmann erfüllt alle drei Anforderungen in vorbildlicher Weise“, erläutert Prof. Dr. Willibald Günthner von der VDI-Gesellschaft Produktion und Logistik die Entscheidung der Jury, und er fügt hinzu: „Das System ist innovativ und dennoch praxisnah – und es ist kostenbewusst, weil Systeme dadurch mit wenig Mitteleinsatz flexibel skalierbar sind.“ Das Eisenmann Doppelkufensystem, bestehend aus zwei Gabeln (Kufen), die zwar denen eines Hubwagens ähneln, jedoch nicht mechanisch miteinander verbunden sind, kommuniziert elektronisch und kann selbstständig und parallel unter Ladeeinheiten (Paletten) fahren. Mit einem Eigengewicht von weniger als 100 kg stemmen sie über Rotationsbewegungen der vier Antriebseinheiten Lasten bis zu einer Tonne. Das Eisenmann-FTS kann, abweichend von den bisher bekannten Systemen, ohne aufwendige Anlageninstallationen und komplexe Inbetriebnahmen genutzt werden. Das einfache Konzept besticht Mit dem Doppelkufensystem wird vermutlich ein Paradigmenwechsel in der Intralogistik eingeleitet: weg von schweren, teuren und stationären Maschinen hin zu einer kompakten, flexiblen und effizienten Technik. Doch die beste Technik nutzt wenig, wenn ihre Handhabung eher kompliziert und dadurch zeitraubend ist – nicht zu vergessen – dann auch viel fehleranfälliger ist.
Das fahrerlose Doppelkufensystem vereinfacht jedoch mit seinem ausgeklügelten Antriebs- und Gestaltungskonzept bisherige, meist manuelle Abläufe in der Transport- und Lagerlogistik. Anmerkung des Autors: Solange das System einfach in Ausführung und Handhabung bleibt hat Eisenmann ganz sicher die Chance, mit dem Kufensystem mit seinem ausgeklügelten Antriebskonzept die Abläufe in der Transport- und Lagerlogistik zu operieren. Doch technikverliebte Stimmen waren bereits zur LogiMAT 2014 zu hören, die forderten, dass das System noch sehr weit automatisiert werden müsste. Das ist zwar machbar, kostet jedoch seinen Preis und bringt vermutlich kaum einen nennenswerten Zugewinn. Die Einfachheit besticht! Den Ausschlag zur Investition in die Doppelkufen-Technik gab für Eisenmann der revolutionäre Antrieb: Dieser Fahr-Lenk-Hub-Mechanismus ist so robust und so kompakt, dass trotz des sehr beschränkten Bauraumes alle notwendigen Elemente in den Kufen integriert werden können. „Das ist ein Alleinstellungsmerkmal dieses Systems und wird auch im Mittelpunkt künftiger Eisenmann-Weiterentwicklungen stehen", ist von Bruno Geiger, Vorstandsmitglied der Eisenmann-Unternehmungen zu hören. Zudem sind sämtliche Antriebskomponenten sowie die Energieversorgung kompakt in den beiden parallelen und ohne feste Verbindung agierenden Transportkufen integriert. Störende An- und Aufbauten entfallen, das System ist somit extrem wendig, platzsparend und erfordert keine aufwendige Halleninfrastruktur. Die Inbetriebnahme geht schnell, Layoutänderungen sind flexibel und vielfach in Eigenregie realisierbar. Aufbau und Wirkprinzip der Fahrzeuge Die zwei paralllen und ohne feste Verbindung operierenden Kufen fahren selbstständig unter normierte Paletten, heben diese an, fahren dann mit bis zu 1,0 m/s und befördern die Last über ein optisches Spurführungssystem bis an ein neues Ziel. Um synchron auf Kurs zu bleiben, kommunizieren beide Kufen ständig miteinander. Ein Leitrechner überwacht via WLAN das Kufenduo auf seinem Weg zum Ziel. Ihre Position im Wegenetz ermitteln die „Roboter-Kufen“ anhand von Barcodes, die auf den Boden geklebt sind. Die Fahrzeuge bestehen im Wesentlichen aus dem robusten Tragelement (Kufe), zwei daran befestigten Hubspindeln und jeweils einem auf der Hubspindel gelagerten Drehschemel mit Differentialantrieb. Der ausgeklügelte Hubmechanismus kurbelt die Kufen parallel nach oben, bis auf eine Hubhöhe von 40 mm, bei einer beachtlichen Nutzlast bis 1000 kg. Das Besondere des Doppelkufensystems ist aber – wie bereits erwähnt – das zum Patent angemeldete Antriebskonzept. Jede Kufe verfügt über zwei Antriebseinheiten, mit denen die Kufe fährt, lenkt und hebt. Diese Drehschemel-Lenkung mit Differenzialantrieb funktioniert so, dass am Drehschemel rechts und links Elektrogetriebemotoren angebracht sind, die bei gleicher Drehzahl eine Geradeausfahrt realisieren. Durch Drehzahlunterschied lässt sich der Drehschemel lenken. Das Drehen um den eigenen Mittelpunkt ermöglicht dem System beim Richtungswechsel den kleinstmöglichen Radius. Kurvenfahrten entfallen. Mittels integrierter Kamera folgen die Kufen den mit Klebeband gekennzeichneten Routen, nehmen Transportgut auf und setzen es an der gewünschten Position ab. Für die Spurführung der Doppelkufen werden optische Sensoren eingesetzt. Darüber hinaus gibt es eine Funkverbindung zwischen den bei den Kufen, um die Daten für die Synchronisation übermitteln zu können. Bei komplexeren Layouts mit einer Vielzahl an Transportwegen (Spurlinien) und mit einer höheren Anzahl von Kufenpaaren kommt ein Leitrechner zum Einsatz, der den Materialfluss steuert und mit übergeordneten, bauseitigen Produktionssteuerungen und HOST-Systemen kommunizieren lässt. Die Software von Steuerung und Leitrechner kommt dabei auch aus dem Hause Eisenmann. Vorteile, die nicht zu unterschätzen sind Wesentlicher Vorteil des Systems ist es, dass Paletten ohne zusätzliche Ladehilfsmittel direkt vom Boden aufgenommen werden können. Das spart Zeit und Platz, da man auf Zwischen-Umsetzvorgänge verzichtet. Die kompakte Bauform und die hohe Beweglichkeit erlauben Rangieren auf engstem Raum. So können Paletten näher zusammengestellt und Transport- und Rangierflächen deutlich reduziert werden. Da es keine mechanische Verbindung zwischen den Einzelkufen gibt, kann unter mehreren Paletten durchgefahren werden. Damit sind, je nach Anordnung des Lagerbereiches, auch hintere Paletten ohne Umlagerungen erreichbar. Bei einem Eigengewicht von weniger als 100 Kilogramm stemmt das Transportmittel über Rotationsbewegungen seiner vier Antriebseinheiten Lasten bis zu einer Tonne. Mit optischen Sensoren ausgestattet und von einem Leitrechner gesteuert findet das Kufenpaar mit einer Geschwindigkeit bis zu einem Meter pro Sekunde entlang dem optischen Spurführungssystems zum Ziel. Die Antriebsachsen sind in alle Richtungen frei beweglich, sodass das System nur ein Minimum an Rangierfläche erfordert und mit schmalen Fahrgassen auskommt. Dank der optischen Spurführung (Klebeband) kann ein Fahrkurs schnell und einfach und ohne Bodenarbeiten festgelegt und wieder geändert werden. Barcodemarken entlang des Fahrkurses bestimmen Halte- und Ladungs-Übergabepositionen. Ein besonderes Merkmal ist die Energieeffizienz. Die Lithium-Ionen-Batterie kann über stationäre Ladegeräte automatisch geladen werden. Jede Kufe erhält eine eigene Steuerung, die mit einer stationären Anlagensteuerung über WLAN kommuniziert. Auch die Investitions- und Unterhaltskosten sind vergleichsweise gering, das System amortisiert sich rasch und findet stets neue Aufgabenfelder in vielen logistischen Bereichen (Produktion, Montage, Lager, Spedition usw.), in denen sich Automatisierung bislang nicht lohnte. Breites Anwendungs- und Einsatzfeld „Mit dem Doppelkufensystem stossen wir in Bereiche vor, in denen es heute aus ökonomischen und technischen Gründen kaum Automatisierung gibt“, meint Bruno Geiger. „Das betrifft zum Beispiel von stark variierenden Warenströmen geprägte Lagervorzonen und Kommissionierbereichen. Hier führen heute Flurförderfahrzeuge wie Hubwagen, Elektro-Ameise und Stapler das Regiment.“ Gedacht wird u.a. an den Betrieb einer Doppelkufe im Rampenbereich von Speditionen, Distributionszentren und Verladeplätzen. Nicht zu vergessen ist auch der Einsatz in Blocklagerflächen (z.B. Getränkeindustrie).
Die Bedienung der Doppelkufen soll vergleichbar der Funkfernsteuerung eines manuell bedienten Hallenkranes durch einen Bediener erfolgen. So könnte u.a. über eine Konvoi-Funktion mit mehreren Fahrzeugen – wobei das führende Doppelkufensystem von einem Bediener gesteuert wird – ein virtuell gekoppelter Routenzug (ohne eine mechanische Verbindung) zusammengestellt werden. Der Routenzug stellt sich somit immer neu zusammen, und eine Entnahme von einem beliebigen Ladungsträger ist jederzeit in beide Richtungen quer zur Fahrtrichtung möglich. Ein weiteres Anwendungsszenario wäre die Fernsteuerung. mehrerer Doppelkufen durch einen Mitarbeitenden. Dadurch bestünde z.B. bei der LKW-Verladung die Möglichkeit, nicht nur einzelne Paletten, sondern einen ganzen Pulk durch einen Fahrvorgang zu be- oder entladen. Kontinuierliche Weiterentwicklung Das Doppelkufensystem, wie anlässlich der LogiMAT 2014 in Stuttgart zu sehen, ist ein erster Schritt bzw. eine erste Lösung, um das System in der Praxis einzusetzen. Doch es stehen bereits weitere technische Meilensteine bei Eisenmann und dem IFT in der Umsetzung.
Auch das Entladen eines kompletten Lastwagens in einem „Rutsch“ auf Knopfdruck und der Betrieb extrem verdichteter Blocklager gehören zu den Visionen, die durch das Doppelkufensystem in den kommenden Jahren zur Realität werden sollen. Unabhängig davon wird die Spurführung mit Hilfe verschiedener Technologien untersucht, obschon man weiss, dass die einfachste und kostengünstigste Art der Spurführung die mittels Lichtsensor ist, der auf weisse oder schwarze Klebestreifen reagiert. Fazit Mit den komplett in den Kufen untergebrachten Antriebs- und Energieversorgungseinheiten und somit ohne jegliche An- und Aufbauten – alles im Bauraum der lichten Öffnungen einer Europalette = weniger als 90 mm Höhe und max. Breite von 210 mm – eignet sich das agile nur ca. 100 Kilogramm schwere Doppelkufensystem für vielfältige Aufgaben in der Intralogistik. Und es kann ohne aufwendige Anlageninstallationen und komplexe Inbetriebnahmen genutzt werden.
Gemäss Prof. Karl-Heinz Wehking verändert das Doppelkufensystem die Zukunft der Flurfördertechnik entscheidend. „Diese Innovation wird einen Paradigmenwechsel in der Intralogistik bringen, nämlich weg von schweren, teuren und stationären Maschinen hin zu einer kompakten, flexiblen und effizienten Technik. Zudem bietet sich diese Lösung durch den unproblematischen Um- oder Ausbau für die schnelle Anpassung an neue Bedürfnisse an. Das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber fest verdrahteter Technik, die sich entweder gar nicht oder nur zu immensen Kosten verändern lässt.“ Durch konsequente Weiterentwicklung der Technik wird das Eisenmann- Doppelkufensystem sich in den kommenden Jahren immer neue Gebiete erobern. Es steht nicht der Transport/das Handling einer Einzelpalette im Vordergrund, sondern ein Pulk vieler Paletten. Zum Beispiel ein Blocklager oder eine LKW-Ladung sollte einem Schritt verfahren und umgesetzt werden können. Und die Übergabe führt z.B. ein Lagermitarbeitender von seiner Steuerung mit einem simplen Tastendruck aus – oder künftig auch mit einem Fingerwisch auf dem iPad. Mit dem zum Patent angemeldeten Doppelkufensystem stellt das Unternehmen aus Baden-Württemberg seine hohe Innovationskraft einmal mehr unter Beweis. Kontakt:Eisenmann AG, D – 71032 Böblingen, Tel. +49 7031 78-0, www.eisenmann.com
30.03.2014 | Autor
Hans Joachim Behrend
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