Immobilien-Wirtschaft

Die Krux mit den Lebenszykluskosten

Immobilien sind langlebige Objekte, die einerseits Geld erwirtschaften und anderseits viel kosten. Strategien, die die Rendite verbessern, sind in aller Munde. Doch was ist wirklich dran an diesem Thema? Eine kritische Betrachtung über Potenziale und Herausforderungen schärft den Blick von Professor Dr. Hans-Rudolf Schalcher.

Unter den Lebenszykluskosten einer Immobilie wird heute übereinstimmend die Summe aller Kosten verstanden, die bei der Erstellung, Bewirtschaftung, Instandsetzung und Liquidation eines Gebäudes während der gesamten Lebensdauer anfallen [1]. Oft werden jedoch die Grundstück- und die Kapitalkosten (Eigen- und Fremdkapital) ausgeschlossen [2]. Auch die Kosten für Umbauten und Erweiterungen sowie die finanziellen Folgen von später geänderten  Nutzeranforderungen werden nicht in die Lebenszykluskosten eingerechnet.

Wozu soll die Kenntnis der Lebenszykluskosten einer Immobilie gut sein? Drei Anwendungsbereiche stehen im Fokus:

  • Ganzheitliche Beurteilung der ökonomischen Vorteilhaftigkeit verschiedener baulicher Lösungsalternativen
  • Budgetierung der langfristigen Kosten einer Bauinvestition
  • Optimierung einer Immobilie bzw. eines Immobilien-Portfolios mittels Benchmarking

Integrale Betrachtung

Je nachdem welche Fragestellung im Vordergrund steht, ist es zweckmässig, entweder die  Lebenszykluskosten auf die Verwaltungs-, Betriebs-, Instandsetzungs- und Liquidationskosten einzugrenzen oder die Grundstück- und die Kapitalkosten ebenfalls zu berücksichtigen. Die integrale Betrachtung der Lebenszykluskosten ist angezeigt, wenn es darum geht, die mit einer baulichen Investition verbundenen Kosten oder die Rendite vorherzusagen. Beim Kostenvergleich von verschiedenen Lösungsalternativen auf demselben Grundstück sowie bei der Optimierung der Erstellungs- und Nutzungskosten einer Immobilie hingegen genügt in der Regel der reduzierte Ansatz.

Aus welchen Gründen eine Lebenszykluskosten-Analyse auch immer durchgeführt wird, die folgenden Fragen werden in jedem Fall zu klären sein:

  • Wie weit soll der Blick in die Zukunft reichen?
  • Wie zuverlässig sind die in Betracht gezogenen Kosten?
  • Wie verändern sich die heute getroffenen Annahmen im Laufe der Zeit?

Betrachtungszeitraum

Es ist eine triviale Erkenntnis, dass die Ungenauigkeit von Prognosen zunimmt, je weiter der Blick in die  Zukunft reicht. Daher hat sich bei der ökonomischen Bewertung von Immobilien ein Zeitraum von 10 Jahren als sinnvoll und zweckmässig erwiesen, eine Konvention die weltweit akzeptiert ist. Für die Analyse und Steuerung der Lebenszykluskosten einer Immobilie genügt ein derart kurzer Zeithorizont aber nicht, denn gewichtige Kosten fallen nicht innerhalb der ersten 10 Lebensjahre an. Man könnte also geneigt sein, die technische Lebensdauer eines Gebäudes als Betrachtungszeitraum zu wählen. Vor nicht allzu langer Zeit wurde diese noch mit 70 – 100 Jahren veranschlagt. Heute wird der vollständige Ersatz eines Gebäudes durch Abbruch und Neubau immer häufiger bereits im jugendlichen Alter von 40 bis 50 Jahren erwogen. Die bestimmenden Gründe sind dabei nicht die Alterung und Abnützung, sondern Nutzungsänderungen, höhere Komfortansprüche sowie neue Technologien und Gesetze. Ein weiterer Grund für einen verkürzten Betrachtungszeitraum ist der Diskontierungseffekt von weit in der Zukunft liegenden Zahlungsströmen: Selbst bei den aktuell extrem niedrigen Zinssätzen schrumpft der heutige Wert einer Zahlung die in 40 Jahren getätigt wird auf weniger als 20% des Betrags. Mit andern Worten: Weit in der Zukunft anfallende Ausgaben haben nur noch einen sehr geringen Einfluss auf die dynamisch ermittelten Lebenszykluskosten.                  

Zuverlässigkeit

Lebenszykluskosten-Analysen basieren auf Annahmen und sind deshalb mit erheblichen Ungewissheiten verbunden. Die zentrale Frage lautet: Wie komme ich zu zuverlässigen Angaben über die zukünftigen Kosten? Es geht in der Regel ja um eine Immobilie die erst auf dem Papier besteht und von der weder die technischen Details noch die Erstellungskosten zuverlässig bekannt sind. Als einziger Ausweg bleibt deshalb der Rückgriff auf Erfahrungswerte von ähnlichen Bauten. Im Gegensatz zu den Bauerstellungskosten, wo heute in der Schweiz breit abgestützte, zuverlässige Erfahrungswerte vorhanden sind [3] [4], tappen selbst Fachleute hinsichtlich der Verwaltungs-, Bewirtschaftungs- und Liquidationskosten noch weitgehend im Dunkeln.    

Am besten wären eigene Erfahrungswerte von ähnlichen Bauten mit gleicher Nutzung. Derzeit sind jedoch nur die wenigsten Immobilieneigentümer in der Lage, eindeutig definierte Kennzahlen zur Verfügung zu stellen, da die entsprechenden Grundlagen und Erhebungsmethoden nicht standardisiert sind. Wohin allgemeine Vergleichszahlen führen, soll am Beispiel von öffentlichen Schulhäusern illustriert werden (vgl. Bild 1).

Unterschiedliche Definitionen

Die Gegenüberstellung der Verwaltungs- und Betriebskosten von Schulbauten aus verschiedenen, öffentlich zugänglichen Quellen zeigt bei den einzelnen Kostenarten, aber auch insgesamt, eine erhebliche Bandbreite. Sie beruht im Wesentlichen auf unterschiedlichen Definitionen der Kostenarten und Verfahren zur Kostenermittlung. So werden die Werte nach LUKRETIA und IFMA als Langzeitmittelwerte theoretisch berechnet, wogegen die Werte des FM Monitors von pom+ und diejenigen der IG BM die effektiven Aufwände der erhobenen Stichprobe im Bezugsjahr darstellen.

Für die Prognose der Instandsetzungskosten werden in der Regel die theoretischen Lebensdauern der objektspezifischen Bauteile und die ursprünglichen Erstellungskosten als Basis verwendet. Auch hier bestehen erhebliche Unschärfen hinsichtlich Zeit und Kosten.           

Veränderungen

Selbst wenn der Betrachtungszeitraum auf vernünftige 40 bis 50 Jahre reduziert wird, bleibt die Prognoseungewissheit gross. Zahlreiche Einflussfaktoren können sich über den Zeitraum von mehreren Jahrzehnten erheblich verändern, und niemand kann das Ausmass vorhersagen. Wer hätte gedacht, dass in der Schweiz in den letzten 12 Jahren (2001 – 2013) der Zins für eine 10-jährige Festhypothek für Wohnen von 5% auf 2% [9] einbrechen, der Heizölpreis (6‘ – 9‘000 l) im Jahresdurchschnitt in derselben Periode von 45.54 CHF/100 l auf 99.25 CHF/100 l  [10]  klettern und der Strompreis für Gewerbe und Dienstleistungen (150‘000 kWh Niederspannung) im  Durchschnitt von 20.0 Rp./kWh auf 17.6 Rp./kWh [11] sinken würde.

Solche Preisänderungen lassen sich nicht einfach fortschreiben. Die Ungewissheit bezüglich der zukünftigen Entwicklung der bestimmenden  Faktoren lässt sich nicht eliminieren. Ihr Einfluss auf die Lebenszykluskosten kann nur abgeschätzt und mittels kritischer Sensitivitätsanalysen simuliert werden.           

Fazit

Welche Schlüsse lassen sich aus diesen Überlegungen ziehen? Sechs Feststellungen stehen im Vordergrund:

  • Die Lebenszykluskosten einer Immobilie sollten sämtliche Kosten inkl. Grundstückerwerb beinhalten, d.h. die Verwaltungs-, Betriebs-, Instandsetzungs-, Liquidations- und Kapitalkosten inkl. Wertberichtigungen. Nur so ist eine betriebswirtschaftlich korrekte und aussagekräftige  Kostenrechnung gewährleistet.  
  • Lebenszykluskosten-Analysen sind nur dann sinnvoll, wenn für die relevanten Kostenarten fallspezifisch zuverlässige und völlig transparent hergeleitete Daten vorliegen. Bei allgemeinen, objektunabhängigen Richtwerten ist dies nicht der Fall.
  • Bauvorhaben und die einzelnen Komponenten sind frühestens auf der Stufe Bauprojekt ausreichend genau spezifiziert. Damit machen Lebenszykluskosten-Analysen im Rahmen von Architekturwettbewerben oder beim Vergleich von Vorprojektvarianten keinen Sinn.  
  • Als Betrachtungszeitraum genügen in der Regel 40 bis 50 Jahre.  
  • Der dynamischen Berechnung der Lebenszykluskosten ist generell der Vorzug zu geben, da der Zeitpunkt der einzelnen Zahlungsströme sehr relevant ist.   
  • Bei der Ermittlung von Lebenszykluskosten sind Teuerungseinflüsse und Preisänderungen zu berücksichtigen. Der hohen Prognoseungewissheit ist mittels kritischer Sensibilitätsanalysen beizukommen.  

Lebenszykluskosten-Analysen sind sehr aufwändig und deshalb nur in besonderen Fällen gerechtfertigt. Um der berechtigten Forderung nach einer langfristig wirtschaftlichen Bauinvestition nachzukommen, genügen in der Praxis meistens die gängigen flächen- und baukostenabhängigen Kennzahlen (z.B. das Verhältnis von Hauptnutzfläche zu Geschossfläche oder der Installationsgrad)  und ausgewählte qualitative Kriterien der Komponenten und Konstruktionen (z.B. die Materialisierung oder die Robustheit). Die meisten dieser Kriterien sind bereits bei Wettbewerbs- oder Vorprojekten verbindlich bekannt, d.h. in den sehr frühen Phasen eines Bauvorhabens, wo der Handlungsspielraum noch gross ist.      

Prof. Dr. Hans-Rudolf Schalcher, em. Professor ETH Zürich und VR-Präsident pom+Group AG Zürich

 

Quellen

[1]  ISO 15686-5:2008-06; Buildings and constructed assets – Service-life planning – Part 5: Life-cycle costing

[2]  Stadt Zürich (2009); LUKRETIA Lebenszykluskosten; Hochbaudepartement, Stadt Zürich

[3]  CRB, Objektdaten-Katalog, CRB, Zürich

[4]  CRB, Elementarten-Katalog, CRB, Zürich             

[5]  Jenkinson I. (2009); Lebenszykluskosten von Gebäuden; Hochbaudepartement, Stadt Zürich

[6]  IFMA (2011); Lebenszykluskosten-Ermittlung von Immobilien; IFMA, Zürich  

[7]  pom+ (2013); FM Monitor 2013; pom+Consulting AG, Zürich

[8]  pom+ (2013); Projekt Gebäude-Benchmarking der öffentlichen Hand; Interner Bericht, pom+Consulting AG, Zürich

[9]  CS (2013); Immobilienmonitor 4. Quartal 2013; Credit Suisse AG, Zürich

[10]     BFS (2014); Landesindex der Konsumentenpreise, Heizöl - Jahresdurchschnittspreise in Franken pro 100 l; Bundesamt für Statistik, Neuenburg

[11]     SEV (2014); Nominelle Strompreisentwicklung 1990 – 2014; Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen, Aarau

 

13.03.2015 | Autor Eugen Rieser   -> Drucken

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