Global Competitiveness Report 2015-2016

Schwaches Produktivitätswachstum bedroht die Weltwirtschaft

Zum siebten Mal in Folge führt die Schweiz die Rangliste des Global Competitive Reports an. Die beispielhafte Widerstandsfähigkeit der Schweiz gegen die Krise und nachfolgende Konjunkturschocks wird mit ihrer hohen Leistungsfähigkeit und der entsprechend guten Platzierung aller 12 Säulen des Index erklärt. Wie schon im Vorjahr folgen Singapur auf Platz 2 und die USA auf Platz 3. Deutschland holt um einen Platz auf und steht nun auf Platz 4. 

Langfristige Strukturreformen zur Produktivitätssteigerung und Freisetzung von unternehmerischen Talenten würden nur unzureichend umgesetzt; dies erschwere es der Weltwirtschaft, höhere Lebensstandards zu erreichen, der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit zu begegnen und Volkswirtschaften gegen künftige Konjunkturabschwünge zu wappnen. Zu dieser Einschätzung kommt der Global Competitiveness Report 2015-2016.

Die 10 wettbewerbsfähigsten Länder der Welt - GCI 2015/16  
GCI Schweiz - BIP pro Kopf - 1980 - 2013  
Schweiz - Die 12 Säulen des GCI 2015_16  
Schweiz - Die 12 Säulen des GCI und ihre Bewertung  
GCR-Ranking (Ausschnitt) 2015_16  
Ausschnitt aus der Gesamtliste:
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Arbeitsmärke oft zu wenig flexibel

In dem jährlich erscheinenden Bericht werden für 140 Länder die Faktoren bewertet, die Produktivität und Wohlstand fördern. Der diesjährigen Ausgabe zufolge haben sehr wettbewerbsfähige Länder der Weltwirtschaftskrise am besten widerstanden bzw. sich rasch davon erholt. Vor allem die Schwellenländer haben es seit der Rezession versäumt, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Künftige globale Konjunkturschocks könnten daher tiefgreifende und lang anhaltende Konsequenzen haben. 

Laut dem Global Competitiveness Index (GCI) des Berichts besteht zudem ein enger Zusammenhang zwischen der Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft und ihrer Fähigkeit, Talente zu fördern, für sich zu gewinnen, einzusetzen und zu unterstützen. Hier sind die führenden Länder alle gleichermassen erfolgreich. In vielen Ländern haben jedoch zu wenig Menschen Zugang zu hochwertigen Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten; zudem sind viele Arbeitsmärkte nicht flexibel genug.  

Viele europäische Länder im Aufwind

Auf Platz 1 der GCI-Rangliste steht – wie erwähnt - zum siebten Mal in Folge die Schweiz. Wie schon im Vorjahr folgen Singapur auf Platz 2, die USA auf Platz 3 und Deutschland erstmals auf Platz 4, während die Niederlande wie schon vor drei Jahren wieder auf Platz 5 aufrücken. Die Positionen Japans (Platz 6) und Hongkongs (Platz 7) bleiben jeweils unverändert. Finnland rutscht auf Platz 8 und damit auf seine bisher niedrigste Bewertung ab, gefolgt von Schweden (Platz 9). Grossbritannien schliesst die Riege der zehn wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften der Welt ab.  

Unter den europäischen Ländern haben Spanien, Italien, Portugal und Frankreich bei der Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit grosse Fortschritte erzielt. Spanien (Platz 33) und Italien (Platz 43) konnten dank ihrer Reformpakete für ein besseres Funktionieren der Märkte zwei bzw. sechs Plätze gutmachen. Ähnliche Verbesserungen auf dem Güter- und Arbeitsmarkt in Frankreich (Platz 22) und Portugal (Platz 38) wurden durch schwächere Ergebnisse in anderen Bereichen aufgehoben. Österreich fällt geringfügig vom 21. auf den 23. Platz zurück. Griechenland bleibt gemäss der Datenlage vor dem Rettungspaket im Juni auf Platz 81. Der Kapitalzugang stellt für alle Volkswirtschaften gleichermassen eine Bedrohung dar und bleibt das grösste Investitionshindernis in der Region.

China vor grossen Herausforderungen

In den grösseren Schwellenmärkten findet sich zumeist ein Trend in Richtung Abschwung oder Stagnation. Es gibt jedoch auch positive Entwicklungen: Indien springt nach fünf Jahren des Abstiegs um spektakuläre 16 Positionen auf Platz 55. Südafrika schafft es wieder unter die ersten 50 und rückt um sieben Positionen auf Platz 49 auf. Aufgrund von gesamtwirtschaftlicher Instabilität und schwindendem Vertrauen in staatliche Institutionen rutscht die Türkei auf Platz 51 und Brasilien auf Platz 75, wobei Brasilien einen der steilsten Abstiege verzeichnet.

China hält sich konstant auf Platz 28 und ist weiterhin das mit Abstand wettbewerbsfähigste Mitglied dieser Gruppe. Allerdings zeigt die Tatsache, dass China nicht weiter aufgestiegen ist, die Herausforderungen, denen das Land bei der Umwandlung seiner Wirtschaft gegenübersteht.  In den asiatischen Schwellen- und Entwicklungsländern zeigt die Wettbewerbsfähigkeit trotz zahlreicher Herausforderungen und grundlegender Unterschiede innerhalb der Region im Allgemeinen einen positiven Trend. China und die meisten südostasiatischen Länder entwickeln sich gut, die südasiatischen Länder und die Mongolei (Platz 104) hinken jedoch weiter hinterher.

Rohstoff-Debakel mit Folgen für Lateinamerika und Karibik

Die fünf grössten Mitglieder der ASEAN-Staaten (Verband Südostasiatischer Nationen) – Malaysia (Platz 18, +2), Thailand (Platz 32, −1), Indonesien (Platz 37, −3), die Philippinen (Platz 47, +5) und Vietnam (Platz 56, +12) – rangieren alle in der oberen Hälfte der GCI-Wertung.  Lateinamerika und die Karibik sind massiv vom Ende des Rohstoff-Superzyklus betroffen, der schon jetzt das Wachstum in der Region beeinträchtigt. Für eine bessere Widerstandsfähigkeit bei künftigen Konjunkturschocks braucht es weitere Reformen und Investitionen in Infrastruktur, Kompetenz und Innovation. Chile (Platz 35) steht weiter an der Spitze der regionalen Wertung, dicht gefolgt von Panama (Platz 50) und Costa Rica (Platz 52). Mit Kolumbien und Mexiko verbessern sich gleich zwei grosse Volkswirtschaften der Region auf Platz 61 bzw. 57. 

Unterschiedliche Perspektiven im Nahen Osten und Afrika

Ein gemischtes Bild ergibt sich im Nahen Osten und Nordafrika. Katar (Platz 14) führt in der Regionalwertung vor den Vereinigten Arabischen Emiraten (Platz 17), ist wegen seiner weniger stark diversifizierten Wirtschaft jedoch einem grösseren Risiko durch die anhaltend niedrigen Energiepreise ausgesetzt als das Nachbarland. Einen starken Gegensatz zu diesen positiven Entwicklungen bilden hingegen die nordafrikanischen Länder, angeführt von Marokko (Platz 72), und die Levante mit Jordanien (Platz 64) an der Spitze. Geopolitische Konflikte und Terrorismus drohen die Volkswirtschaften der Region noch stärker zu strapazieren.

Die Länder Afrikas südlich der Sahara wachsen weiterhin mit fast  fünf Prozent, leiden jedoch nach wie vor an geringer Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität. Daran werden die Länder in der Region arbeiten müssen, vor allem angesichts schwankender Rohstoffpreise, genauer Beobachtung durch internationale Investoren und einer wachsenden Bevölkerung. Das wettbewerbsfähigste Land der Region ist erneut Mauritius (Platz 46), dicht gefolgt von Südafrika (Platz 49) und Ruanda (Platz 58). Die grössten Verbesserungen in der Region können in diesem Jahr die  Elfenbeinküste (Platz 91) und Äthiopien (Platz 109) vorweisen. 

Gefährliche Konsequenzen der 4. industriellen Revolution

„Die vierte industrielle Revolution bewirkt den Aufstieg ganz neuer Branchen und Wirtschaftsmodelle ebenso wie einen schnellen Rückgang anderer. Um in dieser neuen Wirtschaftslandschaft wettbewerbsfähig zu bleiben, muss der Schwerpunkt mehr denn je auf wichtige Antriebsfaktoren der Produktivität, wie Talent und Innovation, gelegt werden“, so Klaus Schwab, Gründer und Executive Chairman des Weltwirtschaftsforums. 

„Die neue Normalität des langsamen Produktivitätswachstums stellt eine ernste Bedrohung für die Weltwirtschaft dar und wirkt sich massiv auf die Fähigkeit der Welt aus, wichtigen Herausforderungen wie Arbeitslosigkeit und Einkommensgefälle zu begegnen. Entscheidungsträger sollten den Schwerpunkt auf Reformen und Investitionen in Bereichen wie Innovation und Arbeitsmarkt legen; das setzt unternehmerisches Talent frei und fördert das Humankapital“, fügt Xavier Sala-i-Martín, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Columbia University in den USA, hinzu. 

Selbstzufriedenheit ist fehl am Platz

Die Begründung für das spektakulär gute Ranking der Schweiz in der GCI liegt in der ausgewogen guten Beurteilung beinahe aller Kategorien, die in das Ranking einfliessen. So führt die Schweiz im Subindex C: Innovation & Sophistication (vgl. Abb. 3 und 4) gleich dreimal den weltweiten Vergleich an. Grund dafür sind ihre erstklassigen Forschungseinrichtungen (1), die hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F & E) von Unternehmen (1) sowie die enge Zusammenarbeit zwischen der akademischen Welt und dem privaten Sektor (3.). Aber auch viele andere Faktoren tragen zur guten Positionierung bei. U.a. das ausgezeichnete Bildungssystem auf allen Ebenen und vor allem das duale Berufsbildungssystem, das praktisch nur in deutschsprachigen Ländern gepflegt wird. Der Arbeitsmarkt ist sehr liberal und leistungsfähig (1) und durch eine vorbildliche Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern (1) sowie durch einen vernünftigen Arbeitnehmerschutz gekennzeichnet. Die öffentlichen Einrichtungen gehören zu den effizientesten und transparentesten der Welt (6), und die Wettbewerbsfähigkeit wird durch eine hervorragende Infrastruktur und Konnektivität (6) und hoch entwickelte Finanzmärkte (10) untermauert. Last but not least, gehört das gesamtwirtschaftliche Umfeld der Schweiz zu den stabilsten weltweit (6).  

Diese starken wirtschaftlichen Fundamentaldaten erklären die Widerstandsfähigkeit der Schweiz gegen die Krise. Am schlechtesten schliesst die Schweiz bei der eigenen Marktgrösse ab. Doch dieses Manko auszugleichen, ist die Schweiz auf Export- und Importmärkte angewiesen - und zwar auch im Personalsektor.  

In letzter Zeit ist eine Reihe von Risiken hinzugekommen, die zu beobachtgen sind. Dazu zählen die nur schleppende Erholung in wichtigen Handelspartnerländern; die noch immer spürbare Aufwertung des Schweizer Franken nach der Freigabe des Wechselkurses sowie die Nahe-Null-Inflation und negativen Realzinsen. Für Unsicherheit sorgt auch die offene Umsetzung des Referendums gegen die "Masseneinwanderung". Die Schweiz benötigt den Zugriff auf ausländische Personalmärkte, um ihren Kapazitätsbedarf an qualifizierten Arbeitskräften zu decken. Generell sollte sie ihre Wettbewerbsfähigkeit kontinuierlich schärfen, um die vergleichsweise hohen Kosten jeglicher Geschäftstätigkeit im eigenen Land zu rechtfertigen. In Selbstzufriedenheit zurücklehnen ist nicht erlaubt.

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Die Rangliste und ihre 12 Säulen

Die Rangliste der Wettbewerbsfähigkeit des Global Competitiveness Report basiert auf dem Global Competitiveness Index (GCI), der 2004 vom Weltwirtschaftsforum eingeführt wurde. Der Begriff „Wettbewerbsfähigkeit“ wird dabei als Gesamtheit der Institutionen, politischen Massnahmen und Faktoren, die das Produktivitätsniveau eines Landes bestimmen, definiert. Die GCI-Punktzahl ergibt sich durch die Erhebung landesweiter Daten in zwölf Kategorien – den Säulen der Wettbewerbsfähigkeit –, die gemeinsam ein umfassendes Bild der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes vermitteln. Diese zwölf Säulen sind: Institutionen, Infrastruktur, makroökonomisches Umfeld, Gesundheit und Grundschulbildung, Hochschulbildung und Ausbildung, Effizienz der Gütermärkte, Arbeitsmarkteffizienz, Entwicklungsgrad der Finanzmärkte, technologischer Entwicklungsgrad, Marktgrösse, Entwicklungsgrad der Unternehmen und Innovation.  

 Quelle und Graphiken: WEF

30.09.2015 | Autor Jörg Naumann

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