Fachbereich: Studien & Marktanalysen
Erstveröffentlichung: 21.07.2015 Ausgedruckt am: 30.07.2017 |
Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Schweiz:
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, ist die Arbeitslosigkeit in der Schweiz in den letzten Jahren gestiegen. Eine neue KOF Studie präsentiert eine Auslegeordnung möglicher Gründe für diesen Anstieg. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Personengruppen besonders von einem steigenden Arbeitslosigkeitsrisiko betroffen sind. Wie die Analyse zeigt, sind dies vor allem Männer, mittelbezahlte Berufsgruppen, Personen mit tiefem Bildungsgrad und Jugendliche. Die Schweiz hat in den letzten zwanzig Jahren ein regelrechtes «Jobwunder» erlebt, und die Arbeitslosenquote liegt im internationalen Vergleich auf tiefem Niveau. Dennoch hat sich auch hierzulande die Arbeitslosenquote kontinuierlich leicht erhöht. Ebenso nahm die Quote der Personen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, zu.
Bei diesem Anstieg der Arbeitslosigkeit handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein strukturelles und nicht um ein konjunkturelles Phänomen, wie Abbildung 1 illustriert. Die Abbildung stellt die Arbeitslosenquote der Schweiz gemäss International Labour Organization (ILO) der Zahl der offenen Stellen gegenüber. Die Idee hinter der Abbildung besteht darin, konjunkturelle von strukturellen Veränderungen in der Arbeitslosigkeit zu unterscheiden. Bewegt sich die sogenannte Beveridge-Kurve vom Ursprung weg, dann nimmt die Arbeitslosigkeit bei gleicher Zahl offener Stellen zu. Das ist ein Indiz für einen Anstieg der strukturellen Arbeitslosigkeit. Genau dies lässt sich für die Schweiz um die Jahre 2003–2005 und 2012–2014 beobachten. Nach 2012 stieg die Arbeitslosenquote sogar an, obwohl gleichzeitig die Zahl der offenen Stellen zunahm. Den Gründen auf der SpurDie KOF Studie «Für wen erhöhte sich das Risiko in der Schweiz, arbeitslos zu werden?» geht den Gründen für den Anstieg nach. Dazu analysieren die Autoren mit Hilfe von Personendaten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE), für welche Gruppen von Erwerbspersonen das Risiko, arbeitslos oder nicht erwerbstätig zu sein, in den letzten 20 Jahren besonders stark gestiegen ist. Die Auswertungen deuten auch darauf hin, dass Personen mit tiefem Bildungsgrad besonders von einer Verschlechterung ihrer Erwerbssituation betroffen waren. Für sie erhöhte sich in der Periode 2008–2013 gegenüber der Periode 1991–1998 sowohl das Risiko, arbeitslos zu sein wie auch das Risiko, nicht erwerbstätig zu sein. Auch für Personen mit einer Matura oder einem Lehrerseminar als höchstem Bildungsabschluss erhöhte sich das Arbeitslosigkeitsrisiko über die Zeit. Arbeitslosigkeitsrisiko GeschlechtReduziert hat sich das Arbeitslosigkeitsrisiko von Frauen im Vergleich zu jenem von «merkmalsgleichen», d.h. in Bezug auf z.B. Alter und Ausbildung vergleichbaren Männern. Obwohl Frauen auch heute noch ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko aufweisen als vergleichbare Männer, haben sie in den letzten 20 Jahren deutlich aufholen können. Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil sich Frauen heutzutage deutlich häufiger aktiv am Arbeitsmarkt beteiligen, als dies noch in den 1990er-Jahren der Fall war. Eine Ausnahme bilden gemäss den Auswertungen der Autoren möglicherweise ältere Frauen. Für diese Gruppe könnte die Erhöhung des Frauenrentenalters von 62 auf 64 Jahre im Zuge der 10. AHV-Revision zu einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko beigetragen haben. Der Grund ist, dass sich die Zahl der Frauen, die eine Stelle suchen, stärker erhöhte als die Zahl der passenden Stellen. Arbeitslosigkeitsrisiken Alter und BerufsstandBetrachtet man die Arbeitslosigkeit nach Alter, sticht vor allem der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit ins Auge. Waren 1991–1993 noch weniger als 5% der Jugendlichen arbeitslos, sind es heutzutage rund 7%. Von einem überdurchschnittlichen Anstieg des Arbeitslosigkeitsrisikos waren ältere Arbeitnehmer hingegen nicht betroffen. Ihr Arbeitslosigkeitsrisiko ist heute noch sehr ähnlich wie in den 1990er-Jahren. Heute wie damals besteht für ältere Arbeitslose ein deutlich erhöhtes Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit. Schliesslich zeigt die Analyse, dass insbesondere Büroangestellte, Maschinisten und Hilfskräfte einem zunehmenden Arbeitslosigkeitsrisiko ausgesetzt sind. Bei den Büroangestellten und Maschinisten spiegelt sich dabei eine Entwicklung wider, die auch in anderen Volkswirtschaften beobachtet werden kann: Mittelbezahlte Jobs, wie es Büroangestellte und Maschinisten sind, gehen zunehmend verloren, während Jobs für sowohl hoch- als auch schlechtbezahlte (insbesondere im Dienstleistungsbereich) Jobs geschaffen werden, wodurch sich die Arbeitsmarktaussichten in diesen Bereichen verbessern. Bemerkung zur Messung der ArbeitslosenquoteIn ihrer Studie stützen sich die Autoren auf die Arbeitslosendaten der SAKE und damit auf dieselbe Grundlage, die der Erwerbslosenstatistik des Bundesamt für Statistik (BFS) zugrunde liegt. Die so gemessene Arbeitslosigkeit entspricht den internationalen Vorgaben. Eine alternative Datenquelle wäre die Zahl der «registrierten» Arbeitslosen, die das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) monatlich auf Basis von Registerhebungen bei den Arbeitsämtern ausweist. Diese Zahlen berücksichtigen allerdings nur rund jeden zweiten Arbeitslosen in der Schweiz, da sie nur diejenigen Arbeitslosen erfassen, welche sich bei einem regionalen Arbeitsvermittlungsbüro (RAV) registriert haben. Jugendliche sowie Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung erloschen ist («Ausgesteuerte») sind oft nicht oder nicht mehr auf dem RAV registriert. Auch das gesellschaftliche Stigma, sich bei einem RAV zu melden, hat einen Einfluss darauf, ob man in den Zahlen der registrierten Arbeitslosigkeit auftaucht. Frauen melden sich seltener als arbeitslosDie Autoren zeigen in einem Exkurs, dass beispielsweise Frauen eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit zu haben scheinen, sich im Falle von Arbeitslosigkeit bei einem RAV zu melden als merkmalsgleiche Männer. Auch Arbeitslose in der französischsprachigen Schweiz haben eine deutlich höhere Neigung als vergleichbare Deutschschweizer, sich bei Arbeitslosigkeit auf dem RAV zu registrieren. Die registrierte Arbeitslosigkeit liefert also ein unvollständiges Bild davon, welche Erwerbspersonen in der Schweiz besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sind.
21.07.2015 | Autor
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