Neue Alpen-Transversale

Der Count down läuft

In weniger als einem Jahr, am 1. Juni 2016, wird der Gotthard-Basistunnel, der längste Tunnel der Welt, mit einem offiziellen Staatsakt und am Wochenende darauf mit einem Fest für die Bevölkerung eröffnet. Mit der Fahrplanumstellung im Dezember 2016 wird er ins SBB-Netz integriert. Der Count down läuft. Trotz einiger Verzögerungen in der Startphase lief das Jahrhundertbauwerk nie aus dem Zeitplan, logistisch wurden schwierige Herausforderungen bestanden und selbst der finanzielle Rahmen soll nicht nur eingehalten sondern unterschritten werden. Die Verantwortlichen anderer Grossbaustellen in Europa werden sich fragen, wie das funktioniert…  

Andreas Meyer, Doris Leuthard und Renzo Simoni  
Andreas Meyer, Doris Leuthard und Renzo Simoni eröffnen 
den Count down für Gottardo 2016
 
Gotthard-Basistunnel - Präzision beim Schieneneinbau  
 Die minimalen Abweichungen vom Plan haben gute Gründe.
 
Gotthard-Basistunnel, Spezialtor bei Multifunktionsstelle Sedrun  
 Spezialtor an der Multifunktionsstelle Sedrun
 
 

Verkehrsministerin Doris Leuthard wies in einer Ansprache denn auch mit Recht darauf hin, dass der Gotthard-Basistunnel für die Innovationskraft, die Präzision und Zuverlässigkeit der Schweiz stehe. Die Schweiz dürfe stolz sein auf das Jahrhundertprojekt. Bis zur Inbetriebnahme des Tunnels bleibe allerdings noch Einiges zu tun. Renzo Simoni, Vorsitzender der Geschäftsleitung von AlpTransit Gotthard, beruhigte die Gemüter mit der Versicherung, dass sich die Arbeiten auf Kurs befänden (s. Grafik). Bis im Oktober 2015 würden die letzten bahntechnischen Komponenten eingebaut, ab dann beginne der Testbetrieb. In über 3000 Testfahrten soll dann nachgewiesen werden, dass der Gotthard-Basistunnel einwandfrei und sicher funktioniert. Dann ist die SBB gefordert. Sie bereitet sich bereits intensiv auf ihre Rolle als Betreiberin vor. Am 1. Juni 2016 wird sie den Gotthard-Basistunnel von der AlpTransit Gotthard AG übernehmen und am 11. Dezember 2016 fahrplanmässig in Betrieb nehmen. 

Als Hochgeschwindigkeits-strecke ausgelegt

Mit der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) und ihren Basistunnels am Gotthard und am Ceneri wird eine Bahnverbindung realisiert, die primär der Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene dient. Deshalb verlaufen die neuen Trasses mit minimen Steigungen und weiten Kurven unter den Alpen hindurch. Der höchste Punkt liegt gerade mal auf 550 Metern über Meer. Damit kommt die NEAT den Forderungen des Alpenschutzartikels entgegen. Auch für den Personenverkehr werden die Fahrzeiten deutlich verkürzt, denn die neue Gotthardbahn ist als Hochgeschwindigkeitsstrecke ausgelegt, auf der Züge auf einer Strecke von rund 60 km mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 250 km/h verkehren können.

Lange Vorgeschichte

Die Idee einer möglichst flachen Alpenquerung ist nicht neu. Die erste Vision eines Gotthard-Basistunnels wurde bereits 1947 entwickelt. In den 60er- und 70er-Jahren wurden von der Kommission «Eisenbahntunnel durch die Alpen» verschiedene Varianten von Bahntunnels evaluiert. 1971 entschied sie sich für einen Doppelspurtunnel durch den Gotthard, zum Teil in zwei Einspurprofile unterteilt. Eine Rezession und politische Uneinigkeit zwischen Gotthard-, Simplon- und Splügenbefürwortern blockierten allerdings die Tunnelvorhaben.

Mitte der 80er-Jahre standen dann neue Varianten und Linienführungen zu Diskussion. 1989 sprach sich der Bundesrat für die «Netzvariante» aus: eine Kombination von Alpentransversalen durch Gotthard und Lötschberg. Die Ostschweiz sollte damals via Hirzeltunnel angebunden werden. In einer bundesrätlichen Redimensionierungsaktion wurde diese Idee 1996 wieder gestrichen.

Vom Stimmbürger getragen

Jahre zuvor, nämlich 1992, wurden die Vorlagen zu den Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen (NEAT) mit fast Zweidrittelzustimmung vom Stimmbürger angenommen. Sie dienten fortan als Planungsgrundlage für die Projekte am Gotthard und am Lötschberg. 1998 stimmte das Volk der etappierten NEAT zu. Mit der Annahme der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) und der Vorlage zur Modernisierung der Bahn (FinöV) gab die Schweizer Bevölkerung letztlich grünes Licht für den Bau der Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen.

Minimale Planabweichungen

Die Ausbrucharbeiten am Gotthard-Basistunnel dauern von 2009 bis 2011. Der Vortrieb in den Hauptröhren erfolgte zu 80 % über Tunnelbohrmaschinen, 20 % über konventionellen Sprengvortrieb. Insgesamt wurden 28,2 Millionen Tonnen Ausbruchmaterial aus dem Tunnel befördert. Der erste Hauptdurchschlag am Gotthard wurde am 15. Oktober 2010 in der Oströhre gefeiert. Rund 30 km vom Südportal und 27 km vom Nordportal entfernt. Der Durchbruch erfolgte mit Schweizer Präzision, die Abweichung von Plan betrug gerade mal 8 cm horizontal und 1 cm vertikal.

Ab Südportal des Gotthard-Basistunnels, in der Weströhre zwischen Bodio und Faido, wurde 2010 mit dem Einbau der Bahntechnik begonnen. 2012 war das 16 Kilometer lange Teilstück vollständig mit den bahntechnischen Installationen wie Fahrbahn, Fahrdraht, Stromversorgung, Telekommunikations- und Sicherungsanlagen ausgerüstet.

Aufwändiges Sicherheitskonzept

Insgesamt besteht der Gotthard-Basistunnel aus zwei 57 km langen Einspurröhren, die alle 325 Meter durch 178 Querschläge miteinander verbunden sind. Zählt man diese Verbindungs- und die Zugangsstollen sowie Schächte hinzu, misst das gesamte Tunnelsystem über 152 km. Der Basistunnel verbindet das Nordportal in Erstfeld mit dem Südportal in Bodio. Mit einer Felsüberlagerung von bis zu 2300 Metern ist er auch der tiefste bisher gebaute Eisenbahntunnel der Welt.

Die 178 Querschläge im Gotthard-Basistunnel (wie auch die 46 Querschläge des Ceneri-Basistunnels) dienen verschiedenen Funktionen: Sie bilden geschützte Räume zur Unterbringung von Schränken mit bahntechnischen Anlagen. Damit die Temperatur nicht über 35°C ansteigt und die hohe Verfügbarkeit und Lebensdauer der Technik mindert, sind die Querschläge mit einer Lüftung ausgerüstet. Im Ereignisfall dienen die Querschläge als Fluchtwege in die andere Röhre. Deshalb sind sie mit Flucht- und Brandschutztüren abgeschlossen.

In den beiden Multifunktionsstellen können Züge von einer Röhre in die andere wechseln. Diese Tunnelwechsel sind mit speziellen Toren bestückt, die im Betrieb in der Regel geschlossen sind. Zahlreiche technische Räume in Nebenbauwerken wie die Bahntechnikräume müssen klimatisiert werden. Die Betriebslüftung steuert das Klima im Tunnelsystem und sorgt bei Unterhaltsarbeiten für die für das Personal erforderlichen Luftbedingungen. Bei einem Brand im Tunnel kann sie Abluft absaugen und Frischluft einblasen. Sie sorgt auch für eine hohe Verfügbarkeit und die Lebensdauer der technischen Anlagen. Der Schacht I in Sedrun dient im Betrieb nicht nur als Frischluftkanal für den Gotthard-Basistunnel. Darin verlaufen auch diverse Kabel der Bahntechnik und eine Wasserzuleitung für die Multifunktionsstelle. 

Gotthard-Basistunnel Einbaufortschritt Bahntechnik  
.Aktueller Stand der Fortschritte bei der Bahntechnik  
Gotthard-Basistunnel Inbetriebsetzung  
Der Prozess der Inbetriebnahme ist geregelt.  

Viel Technik im Tunnel

Berg- und Tunnelwasser fliessen im Gotthard-Basistunnel in gesonderten Leitungen aus dem Tunnel. Vor dem Ausfluss wird das Tunnelwasser untersucht, soweit nötig aufbereitet und in die Natur zurückgeleitet. Sollte beim Bahnbetrieb Schmutzwasser im Bereich der Fahrbahn anfallen, wird es alle 100 m über einen Schacht gesammelt und in eine separate Ableitung geführt. Das Schmutzwasser gelangt zur Analyse in ein Auffangbecken ausserhalb des Tunnels.

Erst die bahntechnischen Anlagen ermöglichen den Eisenbahnbetrieb im Gotthard- und Ceneri-Basistunnel. Zur Bahntechnik gehören die Fahrbahn, Fahrleitung, Bahnstrom- und Stromversorgung, Kabel-, Telecom- und Funkanlagen (s. separaten Artikel), Sicherungs- und Automatisationssysteme und die Leittechnik. Auch umfangreiche Bauprovisorien wie Baulüftung, Baukühlung, Baustromversorgung, Beleuchtung und Baukommunikation sind für den Einbau der Bahntechnikanlagen notwendig. Diese temporären Anlagen müssen während des Einbaus rund um die Uhr und mit einer hohen Verfügbarkeit betrieben werden.

Beauftragt mit der bahntechnischen Ausrüstung des Gotthard-Basistunnels und der offenen Strecken ist ein Generalunternehmer Bahntechnik. Das Konsortium Transtec Gotthard, in dem sich die vier Unternehmen Alpiq, Alcatel-Lucent/Thales, Renaissance und Balfour Beatty Rail zusammengeschlossen haben, verantwortet Ausführungsprojektierung, Ausführung und Inbetriebsetzung der bahntechnischen Anlagen. Gegenüber der Bauherrschaft AlpTransit Gotthard AG realisiert der Generalunternehmer alles aus einer Hand. Der Werkvertrag Bahntechnik Gotthard-Basistunnel umfasst Leistungen in der Höhe von 1.7 Milliarden CHF. Damit ist er einer der weltweit grössten Verträge im bahntechnischen Bereich und der grösste Werkvertrag der AlpTransit Gotthard AG.

Langer Weg bis zur Betriebsbewilligung

Die Inbetriebsetzung der beiden Grossbauwerke Gotthard- und Ceneri-Basistunnel ist in verschiedene Schritte aufgeteilt. In Teilprüfungen wird jede einzelne Komponente und Anlage auf ihre Funktionalität hin getestet. Auch die Interaktion mit der Tunnelleittechnik und die Einbettung in das Gesamtsystem sind sicherzustellen. Dies erfolgt teilweise bereits während der Einbauphase. Nach Abschluss des Einbaus und der erfolgreichen Teilprüfung beginnt auf der gesamten Tunnelstrecke die eigentliche Inbetriebsetzung. Sie wiederum ist ein einen Test- und einen Probebetrieb unterteilt. Im Testbetrieb weist die die AlpTransit Gotthard AG als Erstellerin die Funktionalität und die Erfüllung der Sicherheitsanforderungen nach. Dafür wird über Monate mit Zugfahrten das Zusammenspiel aller Tunnelkomponenten ausgiebig geprüft.

Der anschliessende Probebetrieb steht unter der Hauptverantwortung der SBB, der künftigen Betreiberin der Basistunnel. Erst wenn nachgewiesen ist, dass der Betrieb mit Personen- und Güterzügen, der Personaleinsatz und die Ereignisbewältigung reibungslos funktionieren, erteilt das zuständige Bundesamt für Verkehr die Betriebsbewilligung für den fahrplanmässigen Betrieb.

Quelle, Bilder, Grafiken:  © AlpTransit Gotthard AG 

 

02.06.2015 | Autor Jörg Naumann

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